Träume

Auszug aus dem Buch “Bevor es zu spät ist”

Ich zünde mir eine Zigarette an. Die Flamme tanzt im Wind und der Rauch steigt empor, als wolle er fliehen, als wolle er dem Greifen nach der Realität entkommen. Ich stehe auf dem Balkon, den einen Fuß auf den anderen platziert, sodass die Kälte nur den unteren Fuß berührt. Ein trickreicher Tanz, um der Welt die Schärfe der Kälte zu entziehen. Die eine Socke hat ein Loch im großen Zehen und die andere  Socke gehört nicht mal mir. Bald bin ich 30 und ich ziehe den Rauch durch meine Lungen, um für einen Moment die Welt zum Schweigen zu bringen. Ich fühle mich leicht, denn ich verbrenne all das, was mich drückt, all die zermürbenden Gedanken und Sorgen. Erwachsenwerden. Was ist das bloß für eine beschissene Aufgabe? Die ständige Frage Wer bin ich? Wo gehöre ich dazu? Der Rauch dringt in meine Lungen, und die Welt wird unschärfer, als ob ich an den Rändern langsam verschwinde.

Es ist seltsam, wie Träume in uns leben, wie wir sie hegen, pflegen, festhalten, obwohl wir wissen, dass sie wie fragile Luftblasen zerplatzen, sobald wir zu fest an ihnen rütteln. Träume, die wir in gemeinsamer Verwirrung entworfen haben, die wir uns gegenseitig ins Herz gepflanzt haben wie Samen, die irgendwann keimen sollten. Wir wollten glauben. Wir wollten, dass die Erde gut ist, dass die Wurzeln halten, dass der Baum wächst und sich irgendwann in den Himmel streckt. Damals sind wir geflogen. In unseren Träumen und in der Realität. Was ist nur passiert?

Der Baum im Innenhof ist längst verdorrt. Die Samen haben wir mit einem Lächeln verstreut, ohne zu wissen, dass wir die Erde selbst vergiftet hatten. Weil wir aufgehört haben, an unsere Träume zu glauben. Weil wir lernen durften, erwachsen zu werden.

Und Erwachsene träumen nicht mehr.

Ich ziehe wütend an dem letzten Rest meiner Kippe. Ila du fehlst mir. Wo bist du?

Vielleicht ist es das, was wir verlieren, wenn wir erwachsen werden: das Vertrauen in die Einfachheit, in die Unschuld der Kindheit. Die Leichtigkeit, die Verspieltheit. Doch die Sehnsucht ersticke ich im Rauch. Der Funke verbrennt, bevor er entflammen kann. Und da, wo einst ein freier Geist wohnte, lebt nun ein müder Körper, der täglich überlebt und sich die Frage stellt: Wer bin ich?

Der Rauch entweicht meinen Lungen, und ich blicke in den nächtlichen Himmel, als ob ich irgendwo dort draußen eine Antwort finden könnte.

Doch der Himmel bleibt still.

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Nostalgie